Sechzehn Hände für Franz Schubert
"Verbeugungen" war das Konzert zum 175. Todestag von Franz Schubert
überschrieben. Und die Verneigungen von acht Offenbacher Pianisten vor dem kompositorischen Genius, der die Wiener Klassik in die Romantik überführt hatte, waren mitunter recht tief. Gleichwohl brachten die bewährten
Tastenmeister im ausverkauften Büsingpalais auch eine eigene gestalterische Note in Schuberts Klaviermusik ein, deren große Bandbreite mehrere Klavierabende tragen würde. Fünf Lieder aus dem "Schwanengesang" steuerte
Tenor Dirk Eisermann bei, während Peter Josef Kunz-von Gymnich Einblicke in ein Komponistenleben gestattete, das nicht nur kurz war, sondern auch meist mit materieller Not einherging.
Kunz-von Gymnich, der die
Kreativität des Meisters statistisch belegte (998 Kompositionen in nur 15 Jahren), hatte das Internet befragt - entdeckte über zwei Millionen Einträge bei Mozart und Beethoven, aber nur 122 000 bei Franz Schubert. Zur
Entdeckungsreise animierte auch das Programm: Neben Geläufigem gab es etliche unbekannte Pretiosen, etwa die an eine Fantasie gemahnende Sonate a-Moll, von Frank Spannaus der Wiener Klassik zugeordnet. Sein schwerer, überaus
trockener Balladengang schien den cholerischen Beethoven wiederzubeleben. Weg vom Elegischen, hin zu gehämmerter Daseinshärte: Wie ein liebliches Echo ließ der Romantiker dann doch angelegentlich grüßen.
Ein echter
Schubert dagegen die Fantasie f-Moll zu vier Händen, deren dramatische Wendungen Elena Kotschergina und Olaf Joksch ebenso erkundeten wie sie geschmackssicher den klanglichen Glitzer lockten. Das besaß burleske Momente,
aber auch die Nähe zum enervierenden "Erlkönig"-Lied. Die beiden Impromptus Es-Dur und As-Dur spielte Ronald Fries mit virtuosem Impetus, hier wie Vorläufer zur Konzertetüde. Dabei bewies er im geläufigen,
figürlich reizvollen As-Dur klangliches Feingefühl und großen gestalterischen Atem.
Den Zyklus "Schwanengesang" hatte Schuberts Verleger erst nach dessen Tod zusammengestellt, letzte Lieder auf Texte von Heine,
Rellstab und Seidl. In den fünf ausgewählten arbeitete der an Frankfurts Oper verpflichtete Dirk Eisermann vorlagegemäß den Kontrast von zärtlicher Liebeshingabe und heftigem Gefühlsaufruhr heraus. Natur und Kreatur dienen
dabei als Gleichnis für hohe Empfindung. Etwa im aufrüttelnden "Aufenthalt" oder der "Taubenpost", die Schubert mit Sehnsucht nach der Liebsten verband. Eisermann bot intensiven Ausdruck dicht am Text, doch
sein Tenor wirkte in der Höhe gelegentlich eng. Zuverlässiger Partner am Klavier war Professor Jürgen Blume, emotional auf der Höhe des Geschehens und manche Begleitfigur bewusst stanzend.
Schuberts Forderung, die Tasten
zum Singen zu bringen, erfüllte Werner Fürst in der Nummer zwei aus den späten Klavierstücken vorbildlich, während Hans-Wolfram Hooge und Kunz-von Gymnich schließlich im Marche militaire G-Dur und D-Dur sowie in den von
Johannes Brahms für Klavier vierhändig bearbeiteten elf Ländlern für Tanzvergnügen sorgten. Da sah man Zinnsoldaten vor dem geistigen Auge paradieren, und der Walzer-Strauß schien nicht mehr fern - für die beiden versierten
Pianisten keine Last, sondern pure Lust. "Du holde Kunst": Mit Schuberts "An die Musik" lieferte Eisermann selbst die konzertante Bilanz.
KLAUS ACKERMANN
Offenbach-Post Ausgabedatum: Dienstag, 14. Januar 2003
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